Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz BFSG
Was Websitebetreiber und Diensteanbieter wissen müssen

Wofür steht das Gesetz?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist ein bedeutender Schritt in Richtung Inklusion und Gleichstellung in Deutschland. Es schafft verbindliche Vorgaben, um Produkte und Dienstleistungen für alle Menschen, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, zugänglich zu machen. Laut Statistischem Bundesamt leben in Deutschland ca. 7,9 Millionen Schwerbehinderte, was einen Anteil von 9,3 % an der Gesamtbevölkerung ausmacht. Eine weitere Schätzung geht von ungefähr 1,2 Mio. Menschen aus, die blind oder sehbehindert sind. All diesen Menschen einen einfacheren Zugang zu Informationen und Dienstleistungen zu geben, ist Ziel des European Accessibility Act (EAA) und des deutschen Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG).
Mit dem Fokus auf barrierefreie Lösungen fördert das Gesetz die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und stärkt die Rechte von Verbrauchern. Gleichzeitig stellt es Unternehmen vor die Aufgabe, ihre Angebote entsprechend anzupassen und innovative Ansätze für Barrierefreiheit zu entwickeln. Das BFSG setzt damit ein klares Zeichen für eine inklusive Zukunft.
Was bedeutet das für uns und unser Geschäft?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz schreibt ab Ende Juni 2025 verbindlich vor, dass Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei anbieten müssen, wenn sie unter folgende Kriterien fallen:
Bedingungen, um unter das Barrierefreiheitsschutzgesetz zu fallen
- Es erfolgt eine Erbringung von Dienstleistungen
- Ein Vertrag kann abgeschlossen werden
- Die Angebote richten sich auch an Privatpersonen bzw. Verbraucher
- Es handelt sich um Unternehmen mit mind. 10 Vollzeitstellen oder 2 Millionen Euro an Jahresumsatz oder in der Bilanzsumme
Quelle: https://bfsg-gesetz.de/check/
Unter dem genannten Link ist ein Test zu finden, der anhand von kurzen Fragen abprüft, ob die App, Website oder Dienstleistung unter das Gesetz fällt.
Paragraph § 1 des BFSG regelt dabei im Detail die Produkte, die unter den Geltungsbereich fallen. Es handelt sich dabei nicht nur um Apps oder Websites, sondern bspw. auch um Hardware wie Geldautomaten, Terminals, E-Book-Reader oder Bankdienstleistungen oder elektronische Ticketdienste.
Was müssen wir nun tun?
Als erster Schritt empfiehlt sich, ob wir mit unserer Website, App oder Dienstleistung unter die Bedingungen für das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz fallen. Können die Fragen aus dem Check mit Ja beantwortet werden, folgt eine Bedarfsanalyse. Dabei geht es um die Fragen
Fragen, mit denen wir uns beschäftigen sollten
- Was bedeutet Barrierefreiheit eigentlich?
- Welche Websites, Apps oder Shops betrifft es?
- Welche Unterseiten, Ansichten, Bereiche oder Funktionen müssen barrierefrei bedient werden können?
- Wie ist der Ist-Zustand in diesen Bereichen? Wo stehen wir gerade?
- Was müssen wir tun, um Barrierefreiheit in den ermittelten Bereichen herzustellen?
- Können wir die Verbesserungen alleine durchführen oder benötigen wir Hilfe dabei?
Im Laufe des Prozesses tauchen eine Menge Fragen auf, die beantwortet werden müssen. Fangen wir mit der ersten Frage an.
Was ist Barrierefreiheit eigentlich?
Barrierefreies oder -armes Internet bezeichnet Websites, Apps und digitale Inhalte, die so gestaltet sind, dass sie für alle Menschen unabhängig von körperlichen, sensorischen oder kognitiven Einschränkungen zugänglich und nutzbar sind. Das Ziel ist, dass niemand aufgrund von Behinderungen oder Einschränkungen ausgeschlossen wird.
Kernmerkmale sind dabei:
- Technische Kompatibilität: Inhalte sind mit unterstützenden Technologien wie Screenreadern, Braille-Displays oder Sprachsteuerungssystemen kompatibel.
- Alternative Inhalte: Bilder oder Videos haben alternative Texte, Untertitel oder Audiobeschreibungen, um Informationen für alle zugänglich zu machen.
- Flexible Gestaltung: Inhalte sind anpassbar, beispielsweise durch die Veränderung von Schriftgrößen, Kontrasten oder Layouts, ohne die Funktionalität zu beeinträchtigen.
- Einfache Bedienung: Navigation und Interaktionen sind intuitiv, z. B. durch Tastatursteuerung oder größere Klickflächen.
- Klare Kommunikation: Texte und Inhalte sind klar formuliert und verständlich, oft durch den Einsatz von leichter Sprache.
Die Grundlage für barrierefreies Internet bildet häufig der internationale Standard WCAG (Web Content Accessibility Guidelines), der Richtlinien zur Gestaltung barrierefreier Webinhalte liefert. Die Umsetzung ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern trägt auch zur Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit für alle Menschen bei. Besonders der letzte Absatz ist entscheidend.
Hat das auch Vorteile für uns?
Jedem Betreiber von Apps und Websites sollte klar sein, dass barrierefreie Produkte die Sichtbarkeit verbessert - Stichwort SEO, die Nutzerzufriedenheit steigert und damit den eigenen Kundenkreis erhöht und für mehr Geschäftsabschlüsse sorgen kann. Es sollte also nicht nur lästige Pflicht sein, weil es mal wieder ein neues Gesetz gibt, was es umzusetzen gilt. Nein, im Gegenteil, es sollte ein Selbstverständnis sein, die Mindeststandards einzuhalten und für zufriedene Nutzer zu sorgen.
Es geht also nicht primär um die Frage, ob meine App oder Website barrierefrei sein muss, sondern darum, dass es selbstverständlich sein sollte, dass sie es ist!
Klar, Unternehmen, die unter das BFSG fallen, müssen mit Abmahnungen oder Strafen rechnen, wenn sie das Gesetz missachten. Aber Fakt ist auch, dass jeder fähige Webentwickler bereits von Beginn an an diese Dinge denkt und sie auch konsequent umsetzt. Barrierearmut und Suchmaschinenoptierung gehen dabei Hand in Hand und sorgen für eine gute Behandlung durch Google & Co. Über Alternativtexte, Titel oder Label werden Inhalte erst richtig beschrieben und damit auch gefunden. Einem Link, der nur ein Icon hat, aber keinen Text, wird im Zweifelsfall eben nicht gefolgt und die verlinkte Seite kommt nicht in den Index. Viele dieser kleinen Fehler summieren sich auf zu einer nicht auffindbaren und schlecht benutzbaren Website.
Grundlagen der Barrierefreiheit
Eigentlich mag ich den Begriff Barrierefreiheit gar nicht, denn er suggeriert ein unerreichbares Ziel. In der Webentwicklung gibt es eine Vielzahl an technischen Möglichkeiten, um Browsern, Crawlern, Bots oder Assistenzsystemen wie Screenreadern den Inhalt von Seiten zu beschreiben. Dabei kann man sich in unendlichen Details verlieren, mit denen man viel Zeit verbringt, ohne doch alle Szenarien abzudecken, die auftauchen können.
Daher mag ich den Begriff Barrierearmut lieber und werde ihn von nun an fortführend benutzen. Wenn wir von Barrierearmut sprechen, wird uns bewusst, dass es keinen absoluten Zustand geben kann.
Um Barrierearmut zu erreichen, gibt es bestimmte Grundregeln in der Webentwicklung, die vom HTML-Standard und von den Web Content Accessibility Guidelines des W3C festgelegt werden. Dazu zählen die folgenden Grundlagen:
- Alternativtexte für Bilder: Eine Beschreibung dessen, was auf dem Bild zu sehen ist. Der Alternativtext kommt zum Zuge, wenn das Bild nicht geladen werden kann oder bei Assistenzsystemen.
- Label für Formularfelder: Die Beschriftung des Feldes, z.B. für den Vornamen oder die E-Mail-Adresse. Das Label wird über ein Attribut direkt mit dem Feld verknüpft.
- Nutzung semantischer HTML-Elemente: HTML ist die Sprache zur Erstellung von Websites, mit denen der Inhalt beschrieben wird. Die Anzahl der Elemente ist dabei erstaunlich umfangreich. Jedes Element hat eine bestimmte Bedeutung, auch als Semantik bezeichnet, mit der Inhalte korrekt eingesetzt werden.
- Gut lesbare Schriften: Es gibt unendlich viele Schriftarten und noch mehr Schnitte, doch nicht alle sind für den Einsatz auf Websites geeignet. Sie müssen einerseits gut erkennbar sein, dürfen den Lesefluss nicht behindern und sollen in einer angenehmen und zum Design passenden Größe versehen sein.
- Hohes Kontrastverhältnis zwischen Vorder- und Hintergrund: Ein weiterer, wichtiger visueller Aspekt, der oft misachtet wird. Nicht nur die Schriftart selbst ist wichtig für Barrierearmut, sondern auch dessen Lesbarkeit vor dem Hintergrund der Seite.
- Sinnvolle Strukturierung jeder einzelnen Seite, Ansicht bzw. eines Dokuments: Eine Seite sollte immer auch eine gute Struktur aufweisen, ähnlich wie der eines Buches in einem Bücherregal. Es gibt verschiedene Bereiche, z.B. Kopf, Navigation, Hauptinhalt und Seitenfuß, und Abschnitte ähnlich der von Kapiteln. Bots oder Assistenzsysteme sind auf eine gute Strukturierung angewiesen, um die Inhalte erfassen und einordnen zu können.
Neben den technischen Möglichkeiten sollte außerdem auf folgende Punkte geachtet werden:
- Eine verständliche Sprache nutzen
- Barrierearme PDF-Dokumente erstellen
- Auf Benutzbarkeit - Stichwort Usability - achten
Eines sollte dabei immer zu denken geben: Nur weil eine Website oder App gut aussieht und den neuesten Trends folgt, ist sie noch lange nicht auch gut benutzbar oder barrierearm.
Welche Tools können wir nutzen?
Ein umfassender Check, um eine Website oder App auf die Kriterien des BFSG zu prüfen, gibt es nicht. Als erste Anlaufpunkte empfehle ich die Website https://bfsg-gesetz.de für den Test auf Anwendung des Gesetzes und um den Gesetzestext im Wortlaut nachlesen zu können.
Seid ihr nun zu dem Schluss gekommen, dass ihr handeln müsst, so empfiehlt sich eine Analyse des Ist-Zustands. Dafür nutzt ihr den HTML-Validator des W3C und einen der zahlreichen Accessibility Checks.
Darüber hinaus gibt es einige Checklisten und Umsetzungshilfen vom Bund und anderen öffentlichen Stellen.
Zusammenfassung und Ausblick
Nützliche Links und Tools im Überlick
- BFSG von NETPROFIT: Check und Gesetzestext online: https://bfsg-gesetz.de
- Markup Validation Service vom W3C: https://validator.w3.org
- Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) vom W3C: https://www.w3.org/TR/WCAG21/
- Wie barrierefrei ist meine Website? von Aktion Mensch: https://www.aktion-mensch.de/inklusion/barrierefreiheit/barrierefreie-website/wie-barrierefrei-ist-meine-website-test
- Accessibility Checker, teilweise kostenpflichtig: https://www.accessibilitychecker.org
- Checklisten zur Barrierefreiheit vom Bund: https://www.barrierefreiheit-dienstekonsolidierung.bund.de/Webs/PB/DE/umsetzungshilfen/checklisten/checklisten-node.html
- Produktorientierter Barrierefreiheitstest vom Bund: https://www.barrierefreiheit-dienstekonsolidierung.bund.de/Webs/PB/DE/barrierefreie_it/pruefen/produktorientierter-test/produktorientierter-test-node.html
- Web Content Accessibility Guidelines 2.1 (WCAG 2.1) vom Bund: https://www.barrierefreiheit-dienstekonsolidierung.bund.de/Webs/PB/DE/gesetze-und-richtlinien/wcag/wcag-artikel.html
Ausblick
Im zweiten Teil dieser Serie geht es darum, was man auch ohne HTML- oder Programmierkenntnisse verbessern kann. Die meisten Websites arbeiten mit Content Management Systemen wie Contao, Wordpress, Typo3 oder Shopware. Bei der Arbeit mit diesen Systemen lassen sich Alternativtexte, Überschriften, Label oder eine verständliche Sprache ohne weiteres umsetzen. Ich zeige, worauf es ankommt und was jeder beachten kann.